Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Auch im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erhält der Arbeitnehmer trotz Nichtleistung seiner Arbeit den entsprechenden Lohn. Die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes sind, im Gegensatz zu § 615 BGB, zwingend. Von ihnen kann daher nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen werden.
Bei der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit wirken Arbeits- und Sozialrecht zusammen:

  • Nach § 3 Abs. 1 S.1 EFZG hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber für die Dauer von sechs Wochen; die Anspruchshöhe beträgt 100 % der regulären Vergütung (§ 4 EFZG).
  • Überschreitet die Arbeitsunfähigkeit die Dauer von sechs Wochen, oder liegen die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor, bekommt der Arbeitnehmer maximal für die Dauer 78 Wochen von der gesetzlichen Krankenversicherung Krankengeld in Höhe von 70 % der regulären Vergütung (§§ 44-51 SGB V).

I. Anspruchsvoraussetzungen des § 3 EFZG

Gemäß § 3 Abs. 1 EFZG behält der Arbeitnehmer unter den folgenden Voraussetzungen seinen Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts auch für die Dauer einer Erkrankung.

  1. Anspruchsberechtigter Personenkreis

Der Anspruchsteller muss zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören. Dies ist der Fall, wenn es sich um einen Arbeiter, Angestellten oder zur Berufsbildung Beschäftigten handelt (§ 1 Abs. 2 EFZG).

  1. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit

Es muss eine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vorliegen. Hierbei ist zu beachten, dass nicht jede Krankheit auch zu einer Arbeitsunfähigkeit führt.

Der Begriff der Krankheit ist im Gesetz nicht näher definiert. Eine Krankheit im medizinischen Sinne und damit auch im Sinne des Gesetzes ist anzunehmen, wenn ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand vorliegt, der eine Heilbehandlung erfordert. Ursache und Art der Erkrankung haben für die Begriffsbestimmung grundsätzlich keine Bedeutung. Deshalb fällt auch die Alkoholabhängigkeit grundsätzlich unter den Krankheitsbegriff.

Die Begriffe Krankheit und Arbeitsunfähigkeit sind, entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis, im Sinne des Gesetzes nicht deckungsgleich und daher voneinander zu unterscheiden. Das Vorliegen einer Krankheit führt nicht automatisch zur Arbeitsunfähigkeit und damit zu einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Vielmehr muss die Krankheit zur Arbeitsunfähigkeit führen und auch alleinige Ursache sein.

Von einer Arbeitsunfähigkeit ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann (z.B. nach stationärer Aufnahme im Krankenhaus) oder objektiv nicht ausüben sollte, weil seine Heilung dadurch nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert würde. Hierfür kommt es auf die Bewertung durch einen Arzt an. Die subjektive Wertung des betroffenen Arbeitnehmers ist dagegen nicht ausschlaggebend. Könnte der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung objektiv erbringen, ist seine Krankheit jedoch ansteckend, liegt ebenfalls Arbeitsunfähigkeit vor. Dem Arbeitnehmer ist es nämlich nicht zumutbar, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen, wenn er dadurch andere in die Gefahr der gleichen Erkrankung bringen würde.

Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit muss zudem die alleinige Ursache für die Arbeitsverhinderung sein. Der Arbeitgeber ist nur dann zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer ohne die Erkrankung gearbeitet hätte. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Arbeit zumindest auch aus einem anderen Grund nicht geleistet worden wäre.

Dies gilt insbesondere im Fall des Urlaubs. Es gilt der Grundsatz: Urlaub und Entgeltfortzahlung schließen sich aus. Wird der Arbeitnehmer demnach während seines Urlaubs krank, gilt die Sonderregelung des § 9 BUrlG. Demnach werden die Tage, in denen der Arbeitnehmer, nachgewiesen durch ärztliches Attest, während seines Urlaubs erkrankt, nicht auf den Urlaub angerechnet. An Stelle des Urlaubsentgelts ist Entgeltfortzahlung zu leisten.

Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitnehmer während eines gesetzlichen Feiertags erkrankt. Dann muss der Arbeitgeber nicht wegen des Feiertags, sondern wegen der Erkrankung des Arbeitnehmers das Arbeitsentgelt fortzahlen. Die Höhe der Vergütung des Arbeitnehmers bestimmt sich in diesen Fällen jedoch nicht nach den Regeln über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sondern nach den Regeln über die Feiertagsvergütung (§ 4 Abs. 2 EFZG).

  1. Kein Verschulden des Arbeitnehmers

Die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers muss ohne sein Verschulden eingetreten sein (§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG). Ein solches liegt vor, wenn der Arbeitnehmer gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Plakativ wird daher auch von einem Verschulden gegen sich selbst gesprochen. Hat ein Dritter allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verschuldet, behält der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber.

Das Arbeitsleben bietet eine Fülle von Sachverhalten zum Verschulden des Arbeitnehmers. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nicht alle Sachverhalte gleichermaßen beurteilt werden können. Es kommt vielmehr maßgeblich auf den Einzelfall an. Hier einige Beispiele:

• Arbeitsunfälle: Ein Verschulden des Arbeitnehmers kann gegeben sein, wenn er durch grobe Missachtung der Sicherheitsvorschriften einen Unfall herbeiführt, der dann zu seiner Arbeitsunfähigkeit führt.

• Abhängigkeit von Alkohol, Nikotin, Drogen oder Tabletten: Eine solche Abhängigkeit stellt grundsätzlich eine Krankheit im Sinne des EFZG dar (s.o.). Es gilt auch kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass die darauf beruhende Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitnehmer selbst verschuldet ist. Vielmehr ist auch hier auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Dies hat zur Folge, dass es im Einzelfall den Arbeitsgerichten obliegt festzustellen, welche Ursachen zu der Abhängigkeit geführt haben und ob den Arbeitnehmer ein Verschulden trifft.

• Selbstmordversuche: Bei einem Selbstmordversuch geht die Rechtsprechung erfahrungsgemäß davon aus, dass sich der Betroffene in einem Zustand befindet, welcher die freie Willensbestimmung erheblich mindert, da dieser regelmäßig auf psychischen Erkrankungen beruht. Daher kann hier ein Schuldvorwurf grundsätzlich nicht erhoben werden.

• Heilungsförderndes Verhalten: Ein solches kann dem Arbeitnehmer grundsätzlich nicht vorgeschrieben werden. Es ist ihm überlassen, wie er mit seiner Gesundheit umgeht. Daher trifft ihn auch dann kein Verschulden, wenn er sich nach einem Schwimmbadbesuch nicht ausreichend abtrocknet und daher an einer Erkältung erkrankt. Leidet er jedoch bereits an einer solchen Erkältung, die gerade abklingt, und verlängert er die Arbeitsunfähigkeit durch dasselbe Verhalten, kann ihm ein Verschulden zur Last gelegt werden.

Vor Gericht hat der Arbeitgeber die konkreten Tatsachen, welche das Verschulden des Arbeitnehmers begründen sollen, darzulegen. Ihn trifft somit die Darlegungs- und Beweislast. Hierbei ist er jedoch auf die Mitwirkung des Arbeitnehmers angewiesen. Zu diesem ist der Arbeitnehmer verpflichtet. Anderenfalls kann davon ausgegangen werden, dass er die Arbeitsunfähigkeit verschuldet hat.

II. Beginn, Dauer und Ende des Anspruchs

Der Anspruch entsteht erst, wenn das Arbeitsverhältnis bereits mindestens vier Wochen vor Eintritt der Erkrankung bestanden hat (§ 3 Abs. 3 EFZG). Hierfür kommt es jedoch lediglich auf den tatsächlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an. Ob der Arbeitnehmer in dieser Zeit tatsächlich auch eine Arbeitsleistung erbracht hat, ist hingegen unerheblich. Hat der Arbeitnehmer bei dem gleichen Arbeitgeber vorab eine Berufsausbildung absolviert, ist diese Zeit auf die Wartezeit von vier Wochen anzurechnen.

Grundsätzlich endet die Entgeltfortzahlung mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit, spätestens jedoch mit dem Ablauf von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG). Dem Sechs-Wochen-Zeitraum entsprechen 42 Kalendertage, unabhängig davon, welche Tage in diesem Zeitraum als Arbeitstage angefallen sind. Mithin zählen zu diesen 42 Tagen auch alle Sonn- und Feiertage sowie sonstige arbeitsfreie Tage. Tritt die Arbeitsunfähigkeit vor Beginn des Arbeitstages ein, wird dieser Tag bei der Berechnung mit eingerechnet. Tritt sie hingegen erst im Laufe des Arbeitstages ein, beginnt der Anspruchszeitraum erst mit dem nächsten Tag. Die gesetzliche Sechs-Wochen-Frist kann nach § 12 EFZG nicht verkürzt, wohl aber verlängert werden. Dies gilt insbesondere für Tarifverträge.

III. Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs

Die Höhe der Entgeltfortzahlung bestimmt sich nach dem sog. Lohnausfallprinzip: Dem Arbeitnehmer ist das Arbeitsentgelt fortzuzahlen, das ihm bei der regelmäßigen Arbeitszeit, die für ihn maßgebend ist, zusteht (§ 4 Abs. 1 EFZG). Hierzu zählt jedoch nicht die Vergütung für Überstunden (§ 4 Abs. 1 a EFZG). Bezüglich dieser gesetzlichen Vorschrift besteht im Vergleich zu den restlichen Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes eine Besonderheit: Gemäß § 4 Abs. 4 EFZG kann von ihr durch Tarifvertrag auch zu Lasten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Es handelt sich somit bei der gesetzlichen Bemessungsgrundlage für die Höhe der Entgeltfortzahlung um sog. tarifdispositives Gesetzesrecht.

IV. Anzeige- und Nachweispflicht

Nach § 5 Abs. 1 EFZG ist der Arbeitnehmer dazu verpflichtet, seine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer dem Arbeitgeber mitzuteilen. Dauert die Erkrankung zudem länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer spätestens am darauffolgenden Tag ein ärztliches Attest vorzulegen.

Die primäre Benachrichtigung des Arbeitgebers hat der Arbeitnehmer unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) vorzunehmen, jedoch nicht sofort. Vielmehr hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber so schnell zu informieren, wie es nach den Umständen des Einzelfalles möglich ist. Im Regelfall erfordert dies eine telefonische Nachricht zu Beginn der betrieblichen Arbeitszeit am ersten Arbeitstag.

Bestand die Arbeitsunfähigkeit bereits an den arbeitsfreien Tagen zuvor (Wochenende, Teilzeitbeschäftigung), und ist bereits abzusehen, dass der Arbeitnehmer nicht zum nächsten Arbeitstag arbeiten können wird, muss die Anzeige im Laufe des ersten Krankheitstages erfolgen. Eine briefliche Anzeige genügt hierbei nicht. Vielmehr muss sich der Arbeitnehmer entweder telefonisch mitteilen oder einen Boten einschalten.

Die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) obliegt dem Arzt. Er muss attestieren, dass die in der AUB genannte Person arbeitsunfähig ist, und deren Dauer prognostizieren. Bei gesetzlich Versicherten hat die AUB den Hinweis zu enthalten, dass die Krankenkasse informiert worden ist, § 5 Abs. 1 S. 5 EFZG. Fehlt eine dieser Angaben, darf der Arbeitgeber sie zurückweisen und eine neue, vollständige AUB vom Arbeitnehmer fordern.

Die Bescheinigung muss von einem approbierten Arzt ausgestellt werden. Ärztliches Hilfspersonal oder ein Heilpraktiker genügen hierbei nicht. Jedoch ist der Arbeitnehmer in der Wahl seines Arztes frei. Der Arzt darf keine Bemerkungen über die Ursache und die Art der Arbeitsunfähigkeit in die AUB mit aufnehmen. Insbesondere die zugrundeliegende Erkrankung darf in der AUB nicht erwähnt werden, sofern der Arbeitnehmer ihn dazu nicht ermächtigt hat. Dauert die Arbeitsunfähigkeit über die in der ursprünglichen AUB genannte Zeit fort, hat der Arbeitnehmer eine neue AUB vorzulegen.

Dr. Dietmar Olsen. Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kanzlei Dr. Olsen

Dr. Dietmar Olsen
Fachanwalt Für Arbeitsrecht

Sonnenstraße 32, 80331 München